In dieser Krisenzeit reißt die Kette der Kommentare, Leserbriefe und
Glossen in den Zeitungen nicht ab, in denen das Fehlverhalten anderer
Menschen kritisiert wird. Obdachlose, Taxifahrer, Demonstrierende, Leute
im Park oder in Geschäften: Immer gibt es jemanden, der zuwenig Abstand
hält, seine Maske nicht aufsetzt oder irgendeine andere Regel verletzt.
Und dabei wird dann mit pauschalen abwertenden Bezeichnungen
nicht gegeizt.

Die Verfasser würde ich gerne fragen: Fühlen Sie sich wirklich
persönlich so sehr bedroht? Oder geht es darum, dass der andere sich
anders verhält als man selber, und dass Sie das stört? In beiden Fällen
sollte der innere Kompass einmal nachjustiert werden.

Die Corona-Zeit ist eine Möglichkeit, darüber nachzudenken, in was für
einer Gesellschaft wir leben wollen. Bei allem Ernst, mit der wir der
Pandemie begegnen müssen: Ich fühle mich weder wohl in einer
Gesellschaft, die von Angst und Sorge zerfressen und gelähmt ist, noch
in einer, in der das Handeln der Anderen permanent kritisch beäugt und
überwacht wird.

Leserbrief on Oliver Chadenas